Das Tribunal‘ von Dawn King ist eine grausame Dystopie. Das Drama spielt in der nahen Zukunft,
etwa im Jahr 2040, und zeichnet ein verdammt düsteres Bild einer ehemals zivilisierten Welt, in der
Menschen ohne technische Hilfen kaum noch überleben können, und in der alle wesentlichen
Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit über Bord geworfen wurden - um zu retten, was kaum noch zu
retten ist.
So wirft das Stück viele spannende und extrem unbequeme Fragen auf, und hat leider keine
Antworten auf diese Fragen zu bieten. Ist es legitim, im Urlaub zu verreisen, wenn andernorts
Urlaubsziele überschwemmt werden? Ist es legitim, als Angestellte einer Werbeagentur für
Produkte zu werben, die den Klimawandel noch weiter vorantreiben? Und darf eine Tat bestraft
werden, auch wenn sie zum Zeitpunkt der Tat noch nicht strafbar war?
Im Freien sind es heute fast 50 Grad, und der Sommer hat noch nicht mal angefangen. Und hier, in der
ehemaligen Schule, die zu einem Gerichtsgebäude umfunktioniert wurde, ist es auch nicht viel kühler. Die
Klimaanlage läuft zwar noch, aber nur auf der niedrigsten Stufe, und selbst das verursacht eigentlich schon
viel zu viel zusätzliches CO². Die Fenster öffnen, um etwas Durchzug herzustellen, geht leider auch nicht.
Die Fenster öffnen ist verboten, denn die Luft draußen darf man ungefiltert nicht einatmen. Die Klimakrise
hat Mitteleuropa voll erwischt, und der Temperaturanstieg ist so gewaltig, dass das tägliche Leben der
Menschen drastisch beeinträchtigt ist.
In der alten Schule in einem notdürftig zum Gerichtssaal umgestalteten Klassenzimmer treffen sich heute
trotz der unerträglichen Hitze zwölf Jugendliche, zwischen 12 und 17 Jahren alt. Sie lernen sich heute erst
kennen. Heute werden sie zum ersten Mal eins der vielen Tribunale bilden und gemeinsam urteilen: Über
einzelne Erwachsene aus der Generation ihrer Eltern, über deren Verbrechen gegen die Umwelt, über
deren Beitrag zur Zerstörung einer lebenswerten Welt.
Es sind keine normalen Gerichtsverfahren, mit Richter und Anwälten, mit Zeugen und Kreuzverhören. Die
Angeklagten haben genau fünf Minuten Zeit, um ihr Verhalten zu erklären. Waren die vielen Flüge freiwillig,
nur zum Vergnügen? Oder hat der Arbeitgeber sie angeordnet? Und hätte man sich gegen die Anordnung
vielleicht wehren können? Wie oft wurde Urlaub gemacht? Oder Fleisch gegessen? Nachdem im Dezember
2018 der Sonderbericht des Weltklimarates erschienen war, konnte niemand mehr behaupten, er oder sie
habe nicht gewusst, welche Folgen für die Menschheit und die Erde drohen, wenn das Verhalten nicht
radikal geändert und der CO²-Ausstoß drastisch reduziert wird – das ist die Annahme. Wer sein Verhalten
dennoch nicht geändert hat, ist also schuldig.
Denn die Folgen sind kaum noch umkehrbar, und die Jugendlichen sind mit einer Welt konfrontiert, in der
es sich für sie nicht mehr leben lässt. Für all die Erwachsenen, die zu dieser Entwicklung beigetragen
haben, reichen die Ressourcen nicht. Es müssen also die Schuldigen möglichst schnell verurteilt und
entsorgt werden, damit für die Kinder und Jugendlichen ein Rest Hoffnung bleibt, dass es irgendwann auch
wieder besser wird. Die Tribunale haben genau 15 Minuten Zeit, um jeden Fall zu diskutieren und dann ein
Urteil zu sprechen: Schuldig oder nicht. So ist also nicht nur die Umwelt zerstört worden, sondern auch der
Rechtsstaat.